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Sport

Bewegung macht süchtig?

Keine Frage, – Sport ist in unserer Gesellschaft positiv besetzt. In einer Zeit, in der uns Werbung und Social Media lauter junge, schlanke, gesunde, fitte Menschen als Schönheitsideal präsentieren, die durch Selbstoptimierung alles erreichen können, was glücklich macht, da ist Sport das Mittel der Wahl schlechthin.

Da stellen sich nun aber doch eine Reihe von Fragen:

  • Kann man zuviel oder “falsch” Sport treiben?
  • Sind es die richtigen Gründe, aus denen Sport getrieben wird?
  • Ist der Sport, den ich treibe mit ungesunden Verhaltensweisen verknüpft?
  • Gibt es “altersgemäßen” Sport?

Zunächst einmal:

Ganz sicher ist Sport auch für mich per se positiv besetzt. In unserer Gesellschaft herrscht ohnehin zuviel Bewegungsmangel, die stetig steigende Zahl der Erkrankungen am Metabolischen Syndrom (https://de.wikipedia.org/wiki/Metabolisches_Syndrom) zeigt uns deutlich, dass die Menschen in den Industriestaaten im Allgemeinen zu wenig Bewegung haben. Kinder spielen seltener draußen und beschäftigen sich überwiegend mit Bildschirmen. Schüler bekommen auch im Schulunterricht zu wenig Bewegung und werden zusätzlich noch von Mamas Taxi zu jedem Termin gefahren. Erwachsene fahren in der Regel mit dem Auto zur Arbeit, um dann am Schreibtisch zu sitzen und anschließend wieder mit dem Auto nach Hause zu fahren. Wer kommt dabei schon ordentlich ins Schwitzen?

In 15 Jahren Tätigkeit als Jugendtrainer habe ich die Erfahrung gemacht, dass es gerade für Kinder extrem wichtig ist, mehrmals pro Woche Sport zu machen, sich dabei richtig auszupowern und neue Bewegungsmuster zu lernen, denn die Kinder unserer Zivilisation haben teilweise erschreckende Defizite in so grundlegenden Fähigkeiten wie Balance und Koordination. Ganz nebenbei relativieren sich dann auch Diagnosen wie ADHS, die oft schon mit einem gezielten Bewegungsprogramm behoben werden können. (Leider habe ich oft genug erlebt, dass in Kindergärten aus Personalmangel oder Unlust oder beidem mit den Kindern fast den ganzen Winter über höchstens einmal pro Woche für ein halbes Stündchen raus gegangen wird, – klar, dass die den ganzen Tag in einem Räumchen eingesperrten Racker dann hyperaktiv werden…)

Gerade im Kindesalter ist Bewegung für die gesunde Entwicklung von Gehirn, Immunsystem und Stoffwechsel extrem wichtig. Und wer als Kind und Jugendlicher viel und gerne Sport gemacht hat, wird auch als Erwachsener immer wieder dessen segensreiche Wirkungen zu schätzen wissen.

Aber wie sieht es mit den Jugendlichen aus, denen in den sozialen Netzwerken ein Schönheitsideal suggeriert wird, das mit Gesundheit und menschlicher Vielfalt so gar nichts mehr zu tun hat? Die in der Pubertät, in der jeder unsicher über sich selbst und seinen Platz in der Welt ist, Vorbilder präsentiert bekommen, die in keinster Weise repräsentativ sind für einen normalen jungen Menschen? Da gibt es auf Abnehmportalen vorher-nachher-Bilder, bei denen man sich ernsthaft fragt, warum diejenige eigentlich abnehmen musste, da sie vorher schon ein ganz normale Figur hatte! Da wird suggeriert, dass der eigene normale Körper so hässlich und fett ist, dass man unbedingt ab sofort nur noch drei Salatblätter essen sollte und dreimal täglich Sport machen müsste, zu Selbstoptimierungszwecken. (Ich will gar nicht von denen reden, die die Selbstoptimierung dann mit OPs weitertreiben…) Was dabei herauskommt, sind Mädchen, die nichts  mehr essen bis zur Magersucht und stundenlang laufen gehen bis sie umfallen, und Jungs, die für ein noch ausgestalteteres Sixpack und einen noch dickeren Bizeps im Studio Anabolika schlucken oder spritzen.

Auch Erwachsene sind nicht vor fragwürdigem Sporttreiben gefeit. Aus eigener Beobachtung (20 Jahre Rennradsport und Triathlon) kenne ich doch einige Menschen, deren Trainingsverhalten grenzwertig ist oder zumindest eine zeitlang war. Klar, Profi-Sportler trainieren Umfänge und haben Ziele, die einfach der Tatsache geschuldet sind, dass sie mit ihren Ergebnissen ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Aber muss ein Hobbysportler wirklich täglich mindestens 3 Stunden radfahren und dabei wöchentlich 1000 Höhenmeter sammeln, oder 100 km pro Woche laufen, oder 40 Stunden pro Woche trainieren? In der Vorbereitung auf einen bestimmten Wettkampf mag das ja noch nötig sein, aber das sollte doch auch bei ambitionierten Hobby-Langdistanz-Triathleten eher die Ausnahme sein. Wenn der Ermüdungsbruch da ist, war es definitiv zuviel! Ich kenne Menschen, die sind psychische Wracks, wenn sie wegen einer Verletzung oder Krankheit nicht trainieren dürfen und tun es dann wider besseres Wissen oft genug trotzdem.

Die Medizin unterscheidet inzwischen “Sportbindung”, die noch weitgehend positiv beurteilt wird, von der “Sportsucht”, die dann definitiv krankheitswert hat.

Aber wo ist die Grenze?

Ich kenne das Gefühl doch von mir selbst gut genug: jetzt war ich gerade (für meine Verhältnisse) topfit, da kommt so ein blöder Infekt daher und ich muss wieder zwei Wochen Pause machen. Noch schlimmer war damals der Radunfall, der mich kurz vor einem Wettkampf für ein halbes Jahr außer Gefecht gesetzt hat. Da ist schnell ein hohes Maß an Unzufriedenheit da.

Immerhin gibt es ein paar klare Anzeichen:

  • Sport ist der einzige Lebensinhalt
  • Freunde und Familie werden vernachlässigt
  • Verletzungen werden ignoriert
  • bestimmte Sportarten werden gar nicht mehr als Sport gezählt
  • dem Umfeld wird das wahre Ausmaß des Trainings verschwiegen
  • an Ruhetagen gibt es Entzugserscheinungen
  • permanenter Wunsch nach Leistungssteigerung

Je mehr von diesen Symptomen zutreffen, desto wahrscheinlicher ist eine krankhafte Sportsucht, die therapiebedürftig ist, damit der Sportler wieder maßvolle Bewegung lernt.

Für mich selbst hat sich das Bedürfnis nach Sport relativiert. Da ich nicht mit einem Körper gesegnet bin, der auch jenseits der 50 noch Höchstleistungen bringen kann, habe ich gelernt, dass ein Mehr an Sport bei mir unweigerlich zu einem Mehr an Verletzungen und Wehwehchen führt. Es war kein leichter Prozess, aber inzwischen kann ich auch das den Triathleten so verhasste Nordic Walking als Sport zählen, und ein Stündchen gemütlich mit meinem Partner durch den Wald zu radeln reicht mir im Allgemeinen um die gute Laune zu erhalten. Nur wenn ich durch Krankheit oder die unsägliche Kniearthrose ganz auf Bewegung verzichten muss, werde ich schnell unleidlich. In diesem Sinne: treibt Sport, aber in Maßen!!!

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